• IoT Easter Egg

Die beiden Autoren Markus J Neuhaus und Folker Scholz beschreiben in einer Kurzgeschichte die Einsatzmöglichkeiten der netten kleinen Helferlein in einer nicht allzu fernen Zukunft des Internet of Things – aber auch die möglichen gar nicht so smarten Auswirkungen auf Umwelt, Freundschaft und Partnerschaft.

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   Wie jeden Freitag bin ich mit meinem Freund Nerd zum Sport verabredet. Natürlich heißt er nicht wirklich so, aber seit unserer gemeinsamen Schulzeit kennt man ihn nur unter diesem Namen, weil er immer die neuesten Technik-Gadgets besitzen muss.

   Mein Spitzname war damals schon Dren – das genaue Gegenteil.

   Dank Nerd nutze ich aber mittlerweile auch recht viele dieser „technischen Errungenschaften“. Sie machen richtig Spaß und erleichtern enorm den Alltag. Inzwischen bezahle ich zum Beispiel nur noch digital mit Bitcoins und bin neuerdings auch per Smarthome komplett vernetzt im Internet-of-Things unterwegs. Wirklich cool!

   Während ich meine Sporttasche packe, brabbele ich nebenbei vor mich hin: „Jetzt noch einen kleinen Snack”.

   Mein Smartband vibriert. „Yep!”, rufe ich. „Yep!” ist das Erkennungswort für mein Smartband und mein Smartphone – beide natürlich gekoppelt.

   Mein Smartphone antwortet: „Wenn Du Appetit hast, schlage ich Dir einen Smoothie aus der smarten Kitchenmaid vor.”

   Seit ich das Chip-Implantat meiner Versicherung unter der Haut habe erhalte ich immer gesunde Essensvorschläge, wenn ich Appetit bekomme. Eine tolle Sache! Immerhin spare ich dadurch sieben Prozent meiner Versicherungsgebühren. Außerdem erhalte ich beim Befolgen der Anweisungen Bonuspunkte auf meinem Gesundheitskonto. Ohne diese Einsparung wäre die letzte Gebührenerhöhung wohl noch saftiger ausgefallen.

   „Nimm zwei Karotten, eine Avocado und einen Apfel, reinige sie und fülle sie ein.”, empfiehlt mir die freundliche Dame, die offenbar in meiner Kitchenmaid wohnt.

   Wohlan! Healthfreeze aufgemacht, nannte man früher mal platt: Kühlschrank, die beiden Obstschachteln mit RFID-Chip herausgenommen, die beiden letzten Karotten und eine von drei Avocados entnommen. Schachteln wieder zurückgestellt.

   Kommentar des Smartfreeze: „Karotten sind alle, Avocados reichen noch bis Sonntag.”

   Mein Smartpad mischt sich ein: „Bestellung von 500g Karotten bei FreshFruit zum Preis von 1,79 btcs vorbereitet. PowerProtein bietet außerdem die Aktion PowerPills für nur 2,55 btcs an. Bitte Bestellung bestätigen!”

   „Nur die Karotten!”, rufe ich in den offenen Smartfreeze.

   „Ich habe Ihre Antwort nicht verstanden. Bitte Bestellung bestätigen!”, kommt es augenblicklich hinter mir im Chor von Smartpad und Smartkitchen, der zentralen Küchensteuerung.

   Mein Handy folgt prompt der Aufforderung und antwortet: „Gerne bestätige ich die Bestellung.”

   Was? Oh Mist, vergessen: seit dem Update gestern Abend befindet sich mein Smartphone noch in der Standardeinstellung, in der es alle „notwendigen“ Produkte mit einem Rabatt selbständig bestellen darf.

   Woraufhin das Smartkitchen umgehend akzeptiert: „Bestellung ausgeführt, Konto wird belastet.”

   Mist! Natürlich könnte ich jetzt irgendwie die Bestellung rückgängig machen. Schön, dass sich wenigstens alle meine smarten Geräte so gut verstehen. Vielleicht kann man ja die blöden Pillen im Internet versteigern…

   Egal. Weiter jetzt. Schnell noch den Smoothie zubereiten.

   Der Lärm des Mixers lockt meine Freundin in die Küche: „Na dann viel Spaß beim Sport! Ich werde mir nachher auch noch eine Avocado und etwas Räucherlachs machen.”

   Aus der Ecke des Smartfreeze kommt die Bemerkung: „Die Avocados reichen voraussichtlich bis Samstag, der Räucherlachs ist vermutlich heute Abend aufgebraucht.”

   „Halt die Klappe, du schwatzendes Monster, misch dich nicht immer ein!”, giftet meine Freundin zurück. Sie steht der modernen Technologie eben noch ein wenig verschlossen gegenüber, aber früher oder später wird sie die Vorzüge der digitalen Welt sicherlich auch zu schätzen wissen.

   Der Smoothie schmeckt fade. Etwas salzen? Nein lieber nicht. Der Salzstreuer ist ein Werbegeschenk meiner Versicherung, und wenn man etwas kräftiger würzt, kommt gleich der Hinweis, dass zu viel Salz ungesund ist.

   Außerdem würden meinem Gesundheitsbonus-Konto zwei Punkte abgezogen. Also lieber nicht. Der Pfefferstreuer ist noch von meiner Oma und nicht mit meiner Smartkitchen verbunden. Also würze ich lieber mit Pfeffer.

   Mein Smartband vibriert wieder, „Yep!”

   „Ihr Smarttaxi wartet vor Ihrer Haustür. Die Abrechnung beginnt.”, informiert mich das Smarthome.

   „Wolltest Du nicht mit dem Fahrrad fahren?”, fragt meine Freundin mit einem Seitenblick auf das rotblinkende Fahrradsymbol auf meiner Smartwatch.

  „Tja ääh, hab leider ́nen Platten.”, entgegne ich wenig überzeugend, drücke Ihr, bevor sie antworten kann einen dicken Kuss auf den Mund, greife Tasche und Smoothie und stürme Richtung Wohnungstür.

   Im Flur vibriert mein Smartband: „Yep!”

   „Du hast Dein Smartshirt nicht bei Dir.”, kommt eine Erinnerung aus der Schlüsselbox.

   Gut, dass wir neuerdings im Flur einen „Smartreminder” installiert haben. Unser System weiß, was wir für bestimmte Aktivitäten außer Haus benötigen und, dank des Zugriffs auf unsere Kalender, wann diese stattfinden. Wenn die Gegenstände, die alle mit einem RFID-Chip bestückt sind, nicht beim Verlassen erkannt werden, dann bekommen wir eine Warnung. Echt praktisch!

   „Schatz, kannst Du mir bitte schnell noch mein Smartshirt bringen!”, flehe ich mit bittendem Blick in Schuhen.

   „Wo ist denn Dein Smartshirt?”, fragt sie zurück.

   Aus dem Badezimmer meldet sich der emanzipierte smarte Washbutler mit dunkler Stimme: „Ihr Smartshirt wurde wie gewünscht gewaschen. Der Wasch- und Trocken-Vorgang wurde vor zwei Stunden beendet.”

   „Seit Du diesen Smartreminder hast, vergisst du ständig irgendwelche Sachen. Denk doch mal selber nach!”, ist die ironische Antwort meiner Freundin als Sie mir das Smartshirt bringt.

  „Wozu?”, antwortet ich grinsend, „Genau dafür gibt es ihn doch! Hab‘ dich lieb!”

   Das fahrerlose Taxi bringt mich schnell zum Sportstudio. Nerd wartet schon.

   „Hi!“, begrüßt er mich freudestrahlend und ergänzt: „lch muss heute mindestens acht Kilometer Fahrrad fahren, um meinen Wochenbonus für das Gesundheitskonto zu bekommen. Falls ich ihn überhaupt bekomme, denn mein Cholesterin-Spiegel ist seit gestern zu hoch.”

   „Cholesterin ist bei mir in Ordnung.“, entgegne ich. „Ein Steak mit Salat, wäre also drin. Wenn ich allerdings nachher ein Bier trinken will, muss ich dafür 30 Kilometer fahren.”

   „Da bin ich dann schon bei meinem dritten Bier.”, grinst Nerd.

   „Wie soll das denn mit nur acht Kilometern gehen?“, antwortet ich ungläubig. „Das kannst du dir gar nicht leisten, oder ist dir dein Konto egal?”

   Nerd zieht bedeutungsvoll die Augenbrauen hoch, „Na, vielleicht mache ich einen „Zwillings-Tag.”

   „Zwillings-Tag?”, fragt ich, „Was meinst Du damit?”

   Nerd beugt sich zu mir rüber und flüstert verschwörerisch: „Es gibt da eine neue coole App, mit der ich anonym Bier trinken und meine Sportleistung erhöhen kann. Es ist ein Digitaler Zwilling, quasi ein Avatar, den man in das Smartphone einschleusen kann – etwas gesünder und sportlicher – versteht sich… ist aus dem Darknet. Vielleicht nicht ganz legal. Eigentlich kosten die richtig Coins, aber ein paar Kumpels von mir haben den Code geknackt und wissen, wie man ihn für lau laufen lassen kann.”

   Er boxt mir sanft gegen die Schulter und fährt fort: „Aber ich bin ja ein netter Freund. Komm ich installiere dir auch meinen Digi-Twin.” Wie die nervösen Fühler eines Insekts tippen seine Finger fluchs über das Display meines Smartphones.

   „Und schon kann’s losgehen. Ich stell’ den Faktor nicht zu hoch ein, damit du nicht bei der Versicherung auffällst. Nimm zu Beginn erstmal zehn Prozent runter. Das können wir ja in den nächsten Monaten steigern. Komm, auf zu den Rädern!”

   Und tatsächlich: bei Kilometer zwei muss ich plötzlich nur noch sechs Kilometer fahren? „Das ist ja toll!”, schnaufe ich.

   Vibration meines Smartbandes.

   „Yep!”, melde ich mich sichtlich gut gelaunt.

   „Dein Cholesterinspiegel ist zu hoch!”, belehrt mich jetzt mein Smartphone.

   Hechelnd frage ich Nerd: „Kann das sein, dass Dein Twin-Account bei mir durchschlägt?”

   „Keine Ahnung. Lass uns unsere Kilometer zu Ende fahren, dann schau ich mir das mal genauer an.”, Nerd zuckt hechelnd mit den Schultern.

   Bei Kilometer fünf: Wieder eine Vibration.

   „Yep!”, gebe ich den Befehl.

   „Eine wichtige Meldung Deiner Versicherung.”, meldet sich mein Smartphone, „Dein Account weist Auffälligkeiten auf und wurde vermutlich gehackt. Aus Sicherheitsgründen wurde deshalb Deine Identität deaktiviert. Eine Bestätigung ist nicht erforderlich.”

   „Halt, warte”, protestiere ich, „du darfst mich nicht einfach deaktivieren!”, und falle vor Aufregung fast vom Rad.

   Freundlich, aber bestimmt antwortet das Smartphone: „Ihre Identität ist mir leider unbekannt. Bitte setzen Sie sich mit Ihrer Smarthotline in Verbindung!”

   „Und wie soll ich das machen?”, antworte ich patzig und frustriert.

   „Ihre Identität ist mir leider unbekannt. Ich darf Ihnen keine Auskunft erteilen.”, kommt eine neutrale mitleidlose Antwort.

   Das virtuelle Fahrradfahren ist mir endgültig vergangen. „Nerd, kannst Du mir bitte mal Dein Smartphone leihen?”

   Er reicht es mir. „Smarthotline anrufen.”, befehle ich gereizt und tippe meine Versicherungs-ID in das Gerät.

   Einen kurzen Moment später hören wir den Iakonischen Kommentar seines Smartphones: „Die Smarthotline erreichen sie nur nach persönlicher Freischaltung ihrer Versicherungs-ID durch einen Operator. Bitte halten Sie dafür Ihre Vertragsnummer, Ihren Pass und Ihre Versicherungs-ID bereit!”

  „Da komme ich jetzt nicht ran!“, ranze ich das Smartphone an, „So kann ich mir ja nicht mal ein Taxi rufen!”

   Freundlich und neutral antwortet sein Smartphone: „Korrekt.”

   Nerd versucht, mich vor einem drohenden Tobsuchtsanfall zu bewahren: „Das Smartphone kann nichts dafür. Vermutlich kann man den digitalen Zwilling wohl doch nur auf einem Device laufen lassen. Tut mir leid.“, sagt er mit einem beschwichtigenden Lächeln. „Komm ich bring dich nach Hause. Ich recherchiere nachher noch, was man am besten tun sollte und melde mich.”

   Das Smarttaxi hält vor der Haustür. Wir verabschieden uns. Was für ein verpfuschter Abend! Frustriert ziehe ich die Kapuze meines Hoodies tief über den nassen Kopf, gehe zur Tür und halte meinen implantierten lD-Chip an das elektronische Schloss.

   „Ihre ID ist ungültig. Bitte klingeln sie durch Drücken der schwarzen Taste rechts der Tür.”, rät mir eine brummige, Stimme. Wo ist die nette weibliche Begrüßungsstimme geblieben?

   „Schlechter Witz!”, entgegne ich ebenfalls brummig. Also gut. Ich klingle.

   Drinnen höre ich meine Freundin über die Smartcam: „Smarthome, ich kann die Person nicht erkennen. Wer ist das?”

   Das Smarthome antwortet: „Ein Unbekannter, der versucht hat, sich mit einer gesperrt ID Zutritt zu verschaffen. Ich empfehle, nicht zu öffnen.”

   Meine Freundin ist offenbar derselben Meinung: „Verschwinde, ich kenn Dich nicht!”. Sie knipst den Bildschirm der Smartcam aus, noch bevor ich überhaupt auf die Idee komme, meine Kapuze abzunehmen.

   Jetzt reicht es mir!

   Ich klettere auf den Zaun. Dabei bleibe ich an einer Metallspitze hängen und reiße mir die Haut meines linken Oberschenkels auf und fast das gesamte linke Hosenbein ab. Egal, immerhin bin ich schon mal oben.

   In diesem Moment schalten sich die unglaublich grellen Scheinwerfer ein, die unser Haus vor Eindringlingen schützen sollen. Ich bin völlig geblendet, verliere den Halt und falle vornüber in die Rosenhecke. Der ohrenbetäubende Lärm einer Sirene schmerzt in meinen Ohren und die Rollläden der Fenster senken sich, so dass jeglicher visueller Kontakt zu meiner Freundin unmöglich ist. Natürlich! Das Smarthome war so eingestellt, dass beim Verdacht eines Einbruchs, der Alarm- und Verbarrikadierungsprozess gestartet wird.

   Das Getöse mache es mir unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Mit zugehaltenen Ohren und bettelndem auf die verschlossene Tür gerichteten Blick hoffe ich, dass die Alarmanlage endlich aufhört, mein Trommelfell zu quälen.

   Stattdessen stimmt meine Smartwatch mit ein. Sie blinkt grell, pfeift erbärmlich laut und lässt sich nicht abstellen, egal wie ich mich bemühe.

   Gerade will ich völlig verzweifelt davonlaufen, als mich ein spitzer Schmerz durchfährt und zu Boden wirft. Nun weiß ich, wie sich ein Taser anfühlt. Genauer gesagt, zwei.

   Die beiden Sicherheitsleute, die durch die smarte Alarmanlage automatisch angefordert wurden, nutzen die seltene Gelegenheit, Ihre Akkus mal so richtig zu entladen.

   Minuten später stolpere ich, noch ganz benommen, an Handschellen geführt durch eine Menge gaffender Nachbarn und Schaulustiger durch unsere Straße. Die Kapuze und mein vor Schmerzen gekrümmter Gang verhindern, dass mich irgendjemand erkennen und aus dieser schrecklichen Situation befreien könnte.

   Die inzwischen eingetroffenen Polizeibeamten verfrachten mich, noch bevor ich Gelegenheit erhalte, mich zu erkennen zu geben, in ihren Wagen und bringen mich zur Wache.

   Im Verhör versuche ich mit der Überzeugungskraft, die mir mein Zustand noch erlaubt, zu erklären, dass all das Chaos nur mit meiner App zu tun hat.

   Der hinzugerufene Kommissar für digitale Angelegenheiten meint darauf mit einem schrägen und spöttischen Lächeln: „Wenn ihre ganze Geschichte stimmt und sie lediglich die App manipuliert haben, dann sind sie vielleicht kein Einbrecher, aber zumindest haben sie vorsätzlichen Versicherungsbetrug begangen. Wenn sie diese Aussage also bestätigen dann müssen wir ein Verfahren aufnehmen und es an die Staatsanwaltschaft weiterleiten.”

   Völlig demoralisiert entscheide ich mich schließlich, zu schweigen und stattdessen langsam und gewissenhaft die Dornen aus meinen Knien zu picken.

   Mitten in der Nacht werde ich meiner Freundin gegenübergestellt. Sie hat all ihre Cleverness und Ihren Charme eingesetzt, um die Beamten davon zu überzeugen, dass ich völlig harmlos und einfach nur komplett überfordert von den vielen neuen Smarttools sei. Und auch diese App-Sache, erklärt sie, sei sicherlich keine Manipulation und könne eben zustande kommen, wenn ein digitaler Neandertaler wie ich völlig orientierungslos auf seinem Smartphone herumtippe und wische.

   Als wir gemeinsam die Polizeiwache verlassen, kann sie sich ein süffisantes Grinsen und die Bemerkung „Das war ja echt eine smarte Aktion!” nicht verkneifen.

   Ich muss zugeben: das smarteste nach diesem verrückten Tag ist meine analoge Freundin!

   Das Chip-Implantat der Versicherung hat seither übrigens einen richtigen Hau weg. Die Taser haben wohl ganze Arbeit geleistet. Ich bekomme die verrücktesten Empfehlungen zum Thema „Essen und Trinken” und meine Werte bleiben absolut konstant, egal wie oft ich den Salzstreuer benutze.

   Perfekt. Wenn ich jetzt noch meinen Smart-Reminder abschaffe und meine restlichen Geräte aus dem WLAN werfe, blicke ich auf eine ziemlich entspannte und analoge Zukunft.

 

Ein schönes Osterfest 2021 wünschen Folker Scholz und Markus J Neuhaus

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Kontakt zu den Autoren: Markus Neuhaus (mne@marim.de) & Folker Scholz (fscholz@folkerscholz.de)